Erektionsstörungen – das Interview
Erotikmedien.info hat mit Sexualtherapeutin und Paartherapeutin Gabriela Kirschbaum aus Brugg gesprochen:
Erektionsstörungen sind meist auf einfache körperliche Ursachen zurückzuführen. Warum sind die Auswirkungen für Betroffene trotzdem meist schwerwiegend?
Männer, bei denen die Ärzte keine organischen Ursachen für ihre Erektionsstörungen diagnostizieren konnten, finden den Weg in meine Praxis. Es liegt dann nahe, dass psychische Gründe vorliegen. Damit tun sich die Männer meist jedoch sehr schwer, besagt doch der Mythos, dass der Mann immer und (fast) überall kann.
Unabhängig von der Ursache – die erektile Dysfunktion hat stets einen immensen Einfluss auf das Selbstwertgefühl des Mannes. Erektion und Männlichkeit wird gleichgesetzt!
Für mich lässt sich Männlichkeit nicht nur an der Erektion festmachen.
Die erektile Beeinträchtigung ist beim Manne klar erkennbar. Dies, während Frauen trotz Lustlosigkeit Geschlechtsverkehr haben können. Welche Rolle spielt diese Tatsache im Alltag?
Diese Sichtbarkeit setzt den Mann massiv unter Druck. Ist der Penis nicht hart genug, wird der Geschlechtsverkehr verunmöglicht. Die Männer beginnen sich selbst zu beobachten und hemmen so ihre eigene Lust. Der aufkommende Druck sorgt für Unlust und Empfindungsarmut. Der Mann kann nicht mehr das Tun, wozu er Lust verspürt.
Wenn Frauen keine Lust auf Sex haben, empfinden sie dafür schnell untereinander Verständnis. Ein wunderbares Gesprächsthema beim Kaffeeklatsch! Männer reden dagegen eher selten darüber. Warum sind Unlust und Erektionsstörungen bei Männern ein Tabuthema?
Einige Mythen rund um die Erektion des Mannes halten sich hartnäckig:
§ Sex ist gleich Geschlechtsverkehr
Um sich einem Arzt oder einer Therapeutin anzuvertrauen, braucht der betroffene Mann ein starkes Selbstwertgefühl. Genau dieses schwindet bei der Dysfunktion jedoch meist als erstes. Ein Austausch unter betroffenen Männern kann hilfreich sein, ist doch erleichternd zu hören, dass es anderen Männern aus den unterschiedlichsten Gründen ähnlich geht. Die Pornografie verstärkt diese Mythen eher, als dass sie helfen aufzuklären.
Wie können betroffene Paare ihre Sexualität trotzdem ausleben? Gibt es günstige und weniger günstige Stellungen?
Sexualität lebt nicht nur von der Erektion. Auch der Mann, bei dem ein organischer Grund für seine Erektionsschwäche vorliegt, ist und bleibt ein sexuelles Wesen. Alle Spielereien sind möglich, die häufig am Anfang einer Beziehung gelebt werden. Sich am ganzen Körper streicheln, gegenseitig, verschiedene Berührungs- und Umarmungsformen, verschiedene Charakteren der «Spielenden» (kräftig nehmend, sanft umschmeichelnd etc.) sind möglich. Genitale Stimulation gegenseitig ist möglich. Es ist wichtig zu wissen, dass auch der schlaffe Penis ein empfindsames Körperteil ist und der Mann auch ohne Erektion erregt sein kann. Wenn die Frau es mag, kann der Mann ihren Innenraum mit den Fingern oder einem Vibrator stimulieren. Häufig mögen die Frauen neben der vaginalen auch die klitorale Stimulation.
In meiner Praxis begegne ich oft dem Leistungsdruck als Ursache der Dysfunktion. Die Männer lernen bei mir sich zu entspannen. Mit gezielten Atemübungen, der Bewegung und dem Muskelspiel wird die Erregung erhöht. Das wird in meiner Praxis erklärt und zuhause geübt. Sexualität ist lernbar! Zudem wird der Teufelskreislauf besprochen - siehe Grafik untenstehend - und gemildert.
Ich rate zu Slow Sex verbunden mit Entspannung. Langsam ist zwar keine Stellung :-), jedoch sehr wirkungsvoll. Wer im Gegensatz dazu eine erreichte Erektion sich rasch zu nutzen machen will, bewirkt oftmals psychischen und physiologischen Stress. Deutlich günstiger ist es, nicht ständig an die Härte des Penis zu denken, sondern sich absichtslos zu bewegen und zu berühren. Viel wichtiger als die Erektion beim Mann ist es, dass Paare lernen ein «gutes Ende», wie etwa Zufriedenheit bei beiden, in der sexuellen Begegnung anzustreben.
Kann man als Mann einen Orgasmus haben ohne Erektion?
Ja. Erektion, Lustempfinden, Orgasmus und Samenerguss sind biologisch gesehen unabhängige Dinge. So kann der Mann trotz Erektionsschwierigkeiten einen Orgasmus erleben.
Wann sollten sich Männer bei einem Therapeuten Hilfe suchen und welche Anzeichen sprechen dafür?
Wenn in der Selbstbefriedigung die Erektion ausbleibt, empfehle ich einen Arztbesuch.
Wenn die Erektion für den Mann wiederholt nicht, unbefriedigend oder nur sehr mühsam zustande kommt und es ein Anzeichen gibt, dass die Abwärtsspirale beginnt, beispielsweise Vermeiden von Sexualität, Ängstlichkeit, körperliche Stresssymptome und negative Gedanken, empfehle ich den Gang zu einer Sexualtherapeutin oder zu einem
-therapeuten.
Auf dem Markt werden unterschiedliche Hilfsmittel angeboten. Diese reichen vom Penisring über Vakuumpumpen bis hin zu Viagra. Worin sehen Sie die Vor- und Nachteile des Marktangebotes und worauf sollte beim Kauf von Hilfsmitteln geachtet werden?
Es ist gut, dass es diese Hilfsmittel gibt. Bedauerlich finde ich, dass Männer vom Arzt zu selten auf sexualtherapeutische Angebote hingewiesen werden. So könnte der Mann seinen Weg zu zuverlässigeren Erektionen wählen.
Sogenannte PDE-5-Hemmer, wie Viagra, Cialis und andere vermögen zwar punktuell zu helfen, doch das Selbstwertgefühl der Männer vermögen diese Mittel kaum zu stärken. Darüber hinaus muss die Einnahme meist geplant und Nebenwirkungen in Kauf genommen werden. Sinnvoller wäre es die Einnahme der Medikamente mit einer Sexualtherapie zu kombinieren.
Mechanische Hilfsmittel, wie etwa eine Vakuumpumpe, vermögen zu einer Schwellung beizutragen, können jedoch nicht eine befriedigende Sexualität garantieren.
Eine Sexualtherapie verhilft meist zu verstärkter Wahrnehmung, verbesserten Gefühlen und zu spielerischem Sex. Männer lernen durch gezielte Atemübungen, Muskeltraining und Bewegungsabläufe ihre Erregbarkeit zu erhöhen, was zu zuverlässigeren Erektionen führt, sofern keine organische Ursachen vorliegen. Eine solche Sexualtherapie ist jedoch mit nicht zu unterschätzendem Zeitaufwand gekoppelt. Einige Sitzungen in der Praxis und das Üben zuhause benötigen ihre Zeit.
Warum fühlen sich Frauen für die Erektionsprobleme ihres Partners verantwortlich? Welche Reaktionen zeigen die Frauen hierbei? Wie kann die Partnerin ihren Mann unterstützen und was sollte sie keinesfalls tun?
Viele Frauen fühlen sich selbst ungenügend, zu wenig attraktiv oder zu wenig sexy. Sie sind meist hilflos und wissen kaum was sie tun könnten oder lassen sollten. Die Frauen zweifeln daran, ob ihr Mann sie noch liebt. Frauen fühlen sich weniger begehrt.
Besser wäre: Soul Sex, absichtslose zärtliche Berührungen, welche nicht auf Erregung abzielen. Den Druck vermeiden, Geschlechtsverkehr haben zu müssen oder den anderen unbedingt befriedigen zu wollen. Mehr Entspannung, mehr Lockerheit, neue Formen von Berührungen und Bewegungen sollten stattdessen angestrebt werden. Schön finde ich es zudem, wenn der Mann und die Frau es schaffen, auch den weichen Penis zu berühren und liebkosen. Dem Mann absichtslos für eine Weile die Hand weich und liebevoll auf den Penis zu legen. Der Mann kann das auch mit selbst tun.
Welchen Einfluss können der Konsum von (harter) Pornografie haben? Was kann man gegen Erektionsstörungen durch Pornografie machen?
Vorausgeschickt: Pornos schauen finde ich nichts Schlimmes. Stimuliert sich der Mann jedoch ausschliesslich mit Erotikfilmen, so gewöhnt er sich daran. Bleibt dies die einzige Erregungsquelle und stimuliert sich der Mann sich zudem stets sitzend, schränkt das die körperlichen Fähigkeiten in der Atmung und der Bewegung ein. So wird es für den Mann zunehmend schwieriger, sich an seinem Gegenüber zu erregen. Ich rate demnach lieber abwechselnd mit und ohne Bilder sich stimulieren, besser im Liegen oder Stehen und sich variierend zu berühren, zu bewegen und gut zu atmen.
Wann ist eine Erektionsstörung und/oder Lustlosigkeit ein ernstzunehmendes Problem?
Schränkt die Problematik den Mann, die Partnerin oder den Partner im Willen ein. Eine typische Folgeerscheinung der erektilen Dysfunktion ist die Lustlosigkeit. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Mann keine Lust empfinden würde. In solchen Situation empfehle ich eine Sexualtherapie.
Führt häufige Masturbation zu erektiler Dysfunktion? Wie viel Masturbieren ist normal?
Nein. Siehe jedoch Pornokonsum. Masturbation sollte die Sexualität bereichern und nicht einschränken. Durch Atmen, Bewegen, unterschiedliche Berührungen oder Muskelspiele, soll der Penis vielseitig trainiert werden. Was die Häufigkeit der Masturbation betrifft, so gibt es kein Normal oder Nichtnormal. Wenn ein Mann zweimal täglich masturbiert, ist es nachvollziehbar, dass es schwierig ist, eine weitere Erektion mit seiner Partnerin oder seinem Partner zu haben.
Hat Masturbation auch positive Einflüsse auf die Gesundheit?
Ja. Selbstbefriedigung hat beeinflusst die Gesundheit positiv. Sie verbessert den Schlaf, reduziert Stress und körperliche Anspannung und stärkt das Selbstbewusstsein. Viele Männer und Frauen befriedigen sich selbst mit dem Ziel rasch einen Orgasmus zu erreichen. Dabei beschränken sie sich auf einige wenige Arm- und Handbewegungen.
Lernen Männer und Frauen darüber hinaus sich über räkelnde Bewegungen, tieferes Atmen und unterschiedlichen Körperberührungen zu liebkosen, wird der Orgasmus nicht nur zu einer körperlichen Entladung, sondern auch zu einer emotionalen. Zusammen wirkt sich das sehr positiv auf die Gesundheit aus. Die Selbstbefriedigung wird zu einem liebevollen Spiel mit sich selbst und der "freundschaftliche" Kontakt zu sich als Mensch und zu den eigenen Genitalien vertieft sich. Das verleiht Halt im Leben und wird zu einem tröstlichen, sinnlichen Aspekt.
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