Hören Sie dazu auch das Feature im Deutschlandfunk, das neben Interview mit mir auch Auszüge aus dem Buch zitiert - hier.
Seitensprünge
Untreue ist in heutigen Partnerschaften der Trennungsgrund Nummer eins. Einerseits halten wir eisern am Mythos von der «ewigen Liebe» fest, andererseits ist das «Fremdbegehren» allerorten ein Faktum, das mit einschlägigen Seitensprung-Agenturen für gute Umsätze sorgt. Diesen Widerspruch, an dem zahllose Beziehungen zerschellen, nimmt die Autorin zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen. Sie zeigt, dass Liebe nicht nur «Himmelsmacht» und die Privatangelegenheit zweier Personen ist, sondern immer auch durch gesellschaftliche Wertvorstellungen mitbestimmt ist. Paare, die ihr Miteinander nach einer Krise neu gestalten wollen, finden hier zahlreiche Anregungen, die landläufigen Klischees zu Liebe und Treue kritisch zu hinterfragen und gemeinsam herauszufinden, was ihre Partnerschaft im Kern ausmacht.
Der Seitensprung ist die Sollbruchstelle aller Beziehungen der westlichen Welt. An keiner Stelle ist es so nachvollziehbar, wenn die Beziehung beendet wird. Paare quälen sich oft jahrelang durch Beziehungen voller Lieblosigkeit, gar Gewalt, Sucht und Desinteresse. Doch sie bleiben zusammen, denn «man hat sich ja (noch) nicht betrogen.»
Männer und Frauen ertragen Langeweile, Sprachlosigkeit und Kälte in der Beziehung erstaunlich lange und in unheimlichem Langmut. Aber bei einem Seitensprung ist es schlagartig vorbei mit der Geduld. Hier hat die Umwelt spontan Verständnis für eine Trennung. Untreue ist die am meisten akzeptierte Begründung für eine Trennung, so wie «Treue» die grösste Erwartung an einen Partner ist. Orientiert sich einer der Partner also kurz- oder längerfristig nach aussen, kann es relativ sauber «knack» machen, und die
Beziehung ist vorbei, obwohl sie unter Umständen noch viel Potential gehabt hätte und eine Menge Ressourcen aufweist, die nun verloren gehen.
Die Absicht des Buches Seitensprünge ist es, diese Sollbruchstelle zu entschärfen. Stephanie Katerle reflektiert den gesellschaftlichen Konsens zur Verknüpfung von sexueller Treue und Liebe kritisch. Paare finden Anregungen, wie sie individuell für ihre Beziehung passende Werte entwickeln können. Das Buch eröffnet durch seinen kritischen Blick neue Perspektiven. Es erfasst Einzelheiten zur Untreue, die in klassischen Paarratgebern unerwähnt bleiben. Paartherapeuten erhalten Anregungen für neue Sichtweisen, die über die individuelle Situation eines Paares hinausgehen.
Interview mit Stephanie Katerle (www.erstens-hoch-zwei.de):
Was hat Sie bewogen dieses Buch zu schreiben?
In meiner Praxis für Paartherapie ist die Untreue Thema Nummer eins. Leider sind die Herangehensweisen an diese komplexe Thematik bisher recht einfallslos. Untreue wird als Charakterschwäche gewertet. Meistens wird gefragt «Warum kannst du nicht treu sein?» Das schien mir zu einfach. Der Seitensprung wird medial und kulturell ebenso verteufelt wie glorifiziert. Darüber wollte ich sprechen.
Ist eine monogam gelebte Partnerschaft in der heutigen Zeit überhaupt noch realistisch? Wie kann diese angestrebt respektive umgesetzt werden?
Meiner Auffassung nach sind monogame Beziehungen möglich. Sie werden auch oft noch gelebt. Wenn beide der Partner gleichermassen wenig Antrieb haben, andere zu begehren, ist das auch relativ einfach. Meistens ist das aber nicht der Fall. Einer oder beide hat/haben früher oder später Lust auf andere(s). Dann hilft es, wenn man vorher schon darüber gesprochen hat, was im Fall der Fälle passieren soll. Oft trägt das zu einer belebten Kommunikation in der Beziehung bei - auch sexuell - und der Seitensprung wird überflüssig.
Online-Kontaktbörsen für potenzielle Fremdgeher sind längst etabliert. Dort treffen sich Leute, die ihre Familie nicht verlassen wollen, jedoch Lust auf einen Seitensprung haben. Was halten Sie davon?
Im Grunde ist das kein grosser Unterschied zu früher. Menschen haben Lust auf andere, auf fremde Haut. Online-Börsen erleichtern die Suche, aber weder das Finden noch das Erleben. Zwischen dem Versprechen leicht und unkompliziert Seitensprung-Partner zu finden und der Realität des Dates klaffen Welten. Die Schwierigkeiten einer Affäre bleiben nämlich dieselben. Was sich verändert hat, ist die Spezialisierung. Man muss nicht mehr, wie im Herrenwitz, eine Affäre mit der Sekretärin oder dem Bofrost-Mann beginnen. Man kann sich stattdessen im Netz jemanden suchen kann, der (vermeintlich) perfekt zu den eigenen Bedürfnissen passt. Von der Vorliebe für Reizwäsche bis zur athletischen Figur scheint heute alles im Netz erreichbar. Wie gesagt: Die Realität sieht oft anders aus.
Wer ist fürs Fremdgehen besonders gefährdet? Sind manche Menschen anfälliger für Affären als andere?
Die Libido im Sinne einer neugierigen Lust auf die Welt in all ihren Facetten ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Für manche Menschen sind Flirt, Spiel und Sexualität lustvoll, für andere weniger. Erstere haben größere Schwierigkeiten, sich in Treue zu üben.
Warum reagieren Frauen oft mit Selbstzweifeln auf den Seitensprung des Partners?
Frauen vergleichen sich eher als Männer. Das hat damit zu tun, dass Frauen viel mehr als Männer über ihre Attribute (Alter, Figur…) beurteilt werden. Die Frage «Was hat sie, das ich nicht habe?» kann dann zur Selbstzerfleischung führen. Männer reagieren klassischerweise mit einer narzisstischen Kränkung auf die Tatsache, dass sich ihre Partnerin sexuell für andere interessiert. Sie zerfleischen sich eher selten, dafür reagieren sie wütender auf die Konkurrenten. Manche verkriechen sich auch in depressiver Traurigkeit.
Warum übersehen Frauen den Seitensprung des Partners lange Zeit?
Nicht nur Frauen übersehen die Seitensprünge ihrer Partner. Auch Männer zeigen erstaunliche Talente im «Nicht-sehen-wollen», obwohl ihnen die Tatsachen direkt vor Augen stehen. Manche verdrängen die offensichtlichen Indizien, weil sie die Konsequenzen fürchten, die eine Aufdeckung mit sich brächten. Sie hoffen vielleicht auch, dass sich die Sache «von selbst erledigt» und es dann weitergeht wie zuvor.
Was tun, wenn man von einem Seitensprung des Partners erfährt?
Möglichst sollte man, das ist ganz ernst gemeint, von Gewalttaten gegen Personen oder Sachen absehen. In unserer Kultur gilt es als Kavaliersdelikt, dem Konkurrenten das Nasenbein zu brechen oder der Nebenbuhlerin oder dem untreuen Mann das Auto zu zerkratzen. Wahrscheinlich macht es Sinn, die wütende Reaktion zu zeigen und dann dem Kopf ein paar Stunden Zeit zum «Runterkommen» zu geben. Wenn der erste Schmerz erträglich geworden ist, sollte man dem anderen die Chance geben zu erzählen, was ihm oder ihr an der Affäre wichtig war oder ist. Man selbst muss seine eigene Verletzung aber auch nicht unterdrücken. In einem langen Prozess finden dann Klärungen statt. Schritt für Schritt kann man sich darlegen, was der Seitensprung bedeutet und ob man zusammen weitergehen kann und will.
Beflügelt die wirtschaftliche Unabhängigkeit die Untreue der Frau? Oder anders: Ist die abhängige Hausfrau treuer als die erfolgreiche Anwältin?
Ich würde das noch weiter differenzieren. Die erfolgreiche Anwältin ist sicher unabhängiger als die Hausfrau, aber auch unabhängiger als die meisten anderen berufstätigen Frauen. Je mehr äussere Zwänge auf die Paare einwirken, desto länger bleiben sie zusammen. Treuer sind sie deswegen aber nicht. Der Spruch «Früher waren die Menschen treuer» stimmt so nicht. Sie konnten, durften sich nicht trennen, weil Kirche, Kinder und Krieg, finanzielle Unmöglichkeiten oder die Nachbarn es verhinderten. Frauen, die in zahlreiche soziale und haushaltliche Pflichten eingebunden sind, haben weniger Kontakt zum anderen Geschlecht. Das mag sie zu weniger Seitensprüngen führen – aber sind sie deswegen treuer? Wenn man Treue so definiert, dass man auch nicht von anderen fantasiert, dann sind viele Leute untreu, von denen man es nicht erwarten würde.
Wie kann ich lernen, meinem Partner nach einem Seitensprung wieder zu vertrauen?
Paare sollten sich von ihren Sehnsüchten, Bedürfnissen und Ärgernissen offen berichten. Sie sollten so viel wie möglich offen kommunizieren. Das allein schafft Vertrauen und Zu-trauen.
Können Sie uns ein Beispiel aus Ihrer therapeutischen Beratung schildern?
Ich kann mich an ein Paar erinnern, das bereits dreissig Jahre verheiratet war. Sie berichteten davon, wie eingespielt alles gewesen sei, dass sie gar nicht mehr darüber nachdachten, warum und wozu sie eigentlich zusammen waren. Dann passierte der Klassiker: Weihnachtsfeier, eine nette Kollegin, er verlor die Kontrolle und begann eine Affäre. Sie bekam das natürlich heraus. Trennung stand im Raum. Eifersucht und Ratlosigkeit bestimmten die Gespräche. Sie begannen wieder, miteinander zu sprechen. Das hatten sie viele Jahre nicht getan. In diesen Gesprächen kam heraus, dass sie ganz anders lebten, Urlaub machten, aussahen, als sie eigentlich wollten. Sie änderten ihr ganzes Leben. Ihre Alltagsroutinen, ihre Freundschaften, ihren Stil, ihre Urlaubsziele. Alles wurde ausgemistet und neu gestaltet. Es dauerte fast eineinhalb Jahre, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden waren. Danach starteten sie in ein neues Leben. So kann es auch gehen. Sie sind immer noch zusammen und ganz zufrieden, wie es scheint.
Gibt es Beziehungssituationen, in denen ein Seitensprung einer Partnerschaft gut tut?
Das ist schwierig zu beantworten. Ein Seitensprung ist grundsätzlich mal eine Illoyalität. Die tut niemandem gut. Sie kann positives zutage fördern, aber das ist schmerzhaft und anstrengend. In einer offenen Beziehung beispielsweise gibt es den Seitensprung ja nicht, weil er zum Beziehungskonzept dazu gehört und hier kann eine sexuelle oder emotionale Verbindung zu anderen durchaus beflügelnd wirken. Aber auch in nicht-monogamen Beziehungen gibt es Untreue. Wenn einer die Regeln bricht oder sich mehr herausnimmt als der andere, ist auch das eine Illoyalität.
Seit über 20 Jahren ist Stephanie Katerle pädagogisch und psychologisch tätig; zuerst als Lehrerin, heute auch als Trainerin, selbstständiger Coach und Autorin. Beratung von Paaren in schwierigen Lebens- und Beziehungssituationen bildet ihr Arbeitsschwerpunkt. Sie lebt und arbeitet in Paderborn. Ihr Ansatz ist systemisch, prozess- und lösungsorientiert. Mutige Entscheidungen sind dabei ihr Markenzeichen. Diesen Mut möchte sie weitergeben.
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